Pünktlich zu Beginn meiner Fastenwoche gab es Schnitzel, Pommes, Mayo, Ketchup, und Pisse. Eigentlich war ich auf der Ersatzbank und wollte absolut nicht zum Schnipo Schranke Konzert. Ich konnte auch nicht, denn meine Gedanken drehten sich um das erste Mal. Wie wird meine erste Fastenkur verlaufen, wie wird das Glaubersalz wirken? Werde ich 10 Tage ohne Essen auskommen. Wochen vorher schon war klar: Ich boykottiere das Schnipo Konzert. Ich will nicht gemeinsam mit postpubertären Studentinnen vom Typus Popsternchen fäkalpoetische Zeilen grölen. Und immer wieder fragte ich mich: Warum tue ich mich auf einmal so schwer … dabei fing doch alles so gut an, mit Schnipo Schranke.

Von Dissonanzen beim Hören der Schnipo Songs war ich 2013 noch weit entfernt. Berauscht von Schnipo´s Gesamtkonzept, welches sich auf dem Seitenstreifen der Komfortzone breit machte, war ich schnell textsicher:

Ich hab heut‘ Nacht ins Bett gemacht. Mein Psychiater hat sich letzte Woche umgebracht.
Ich sitz zu Haus und spiele Stadt, Land, Fluss in Mittelerde.
Und warte drauf, dass ich endlich Rockstar werde.
Ich hasse mein Leben, denn es stiehlt mir meine Zeit.
Ich suche ständig nach mir selbst, doch da ist nichts weit und breit
("Cluburlaub" vom Debütalbum "Satt", 2014)

Spannend, wie sich das Ich der Schreiberinnen der Sicherheit entzieht, sich befreit und mit den Regeln der Gesellschaft bricht. Scheißegal Stimmung und Rammelpop werden zum Punk der Generation Y, weil die Kreativität aus der Verwundbarkeit und dem „Ausgesetztsein“des Ichs entspringt. Das wollte ich unbedingt live erleben!

Endlich: Am 31.Juli 2015 eröffneten Schnipo Schranke um 15:00 Uhr vor 15 Leuten das Watt En Schlick Festival. Passender hätte der Rahmen nicht sein können, für einen Sound, dessen Stärke die existenzielle Unsicherheit ist. Vor lauter Freude auf das Konzert fühlte ich mich „anti“ wie zu Punk, Thrash und Black Metal Zeiten, und hätte fast eine Revolution anzetteln können. Endlich mal wieder etwas Polarisierendes nach Jahren elektronischer Sounds, die ohne Texte und Meinung auskamen. Schnipos Hang zum überdeutlichen Verbalisieren der eigenen Leidensfähigkeit störte mich (noch) nicht. Ich wollte mitsingen und dem Zeitgeist eine Stimme geben; jetzt mit meiner Tochter auf den Schultern!

Die wörtlichen Eskalationen bewirkten, dass meine spießige „political correctness“ durchlöchert wurde. Wie gehen man und Mann in meinem Alter mit der Dissonanz zwischen Ehrlichkeit, Provokation und Fremdschämen um? Will ich die Texte zusammen mit Klimbim Hippstern der Generation Y singen, welche Rammelpoesie eigentlich eklig finden und nach dem Konzert verabscheuen? Nein, will ich nicht. Da bin ich lieber Babysitter und bedanke mich bei der Menschin, die mir 2013 den Schnipo Schranke Tipp gab, mit einem Konzertticket und einer handsignierten „Rare“.

Voller Vorurteile machte ich es mir wegen eines möglichen Ausfalls auf der Ersatzbank bequem und hoffte, dass ich nicht einspringen muss, wenn es heisst „Ich bin völlig im Arsch. Hier ist mein Ticket. Gehst Du?“.

Es kam, wie es kommen musste. Und am frühen Abend stand ich im Übel und Gefährlich. Meine pauschalisierende Außenwahrnehmung wurde widerlegt – keine Tussi Umhängetäschchen in Sichtweite.

Mit dem Beigeschmack ermüdender Fäkaltexte ohne Tiefgang zog ich nach dem Konzert eine Platte aus dem Regal: „Was jetzt kommt ist für euch nicht so schön. Aber wenn man gehen soll, soll man gehen.“ singt Christiane Rösinger. Ich frage mich, wie es mit Schnipo Schranke weiter gehen wird – jetzt, da sie sich gefühlt vorgedrängelt haben.

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